Hegenbarth Depesche N°78 — Ihre Verbindung wird gehalten
03. Januar 2021
Paolo Caliari, genannt Veronese (1528—1588), Madonna mit Kind und den Heiligen Franziskus und Georg, 1582/83, Feder in Sepia und Pinsel in Grau und Weiß auf farbig grundiertem Karton (Detail und Bildmontage), Hegenbarth Sammlung Berlin
Liebe Freundinnen und Freunde von Herrn Hegenbarth,
auch wir vermissen den geselligen Austausch, das gemeinsame Erlebnis und die angeregte Diskussion mit Ihnen! Wegen der beschränkten Kontaktmöglichkeiten und in der Annahme, dass Sie im anhaltenden Lockdown die Muße dazu haben, senden wir Ihnen heute ausführlichere Verbindungssignale als sonst. Lesen Sie im Folgenden, wie wir in den vergangenen Monaten die Zurückgezogenheit genutzt haben und worauf Sie gespannt sein können — bis auf Weiteres in der Laubacher Straße 38 in Wilmersdorf und künftig auch am Kleistpark in Schöneberg.
Analoge Rückschau
Es freut uns sehr, dass unser Sammlungsspektrum erneut erheblich erweitert werden konnte: Ein umfangreiches Konvolut von Zeitschriftenillustrationen, die Josef Hegenbarth in den 1940er Jahren fertigte, lässt sich bei uns nun studieren und mit bereits vorhandenen Einzelwerken vergleichen. Hinzu gesellen sich mehrere zusammenhängende Folgen zu Märchen, Gedichten und Epen, die sich nicht nur für originelle Ausstellungen eignen, sondern auch nach illustrierten Buchausgaben verlangen. Damit sind wir unserem Ziel, den Zeichner Josef Hegenbarth, ja das Zeichnerische in Gänze zu denken, ein großes Stück nähergekommen!
Hierauf waren auch unsere kunsthistorischen Untersuchungen gerichtet, die Hegenbarths Bedeutung im Verhältnis zu den Kunstströmungen seiner Zeit näher bestimmen. Die üblichen Kategorisierungen und Ismen werden gleichwohl allenfalls am Rande berührt — ganz im Einklang mit der Maxime, die Hegenbarth nach eigenem Bekunden für sein Schaffen aufstellte. Bezeichnenderweise findet sich sein Beitrag zum documenta-Katalog von 1964 eingebettet zwischen denjenigen von Hans Hartung und Bernhard Heiliger. Was der alphabetischen Abfolge geschuldet ist, bietet sich als Impuls für systematische Vergleiche an: Aus dem Blickwinkel der Zeichenhaftigkeit und des visuellen Übersetzens wirken sogar gegensätzliche Positionen wie Facetten eines großen Bildes. Dies wird nicht nur im Vergleich mit Figurenmalern wie Lovis Corinth, Heinrich Campendonk oder Otto Dix deutlich. Auch mit Künstlern, die sich zur Ungegenständlichkeit bekannten, wie Carl Buchheister, Rupprecht Geiger und Hans Hartung bestehen formale wie inhaltliche Überschneidungen. Eine intensive Nähe ergibt sich überdies zu Kollegen, die den Bildraum skriptural, lautmalerisch oder aber materiell erweitern wie beispielsweise Willi Baumeister, Gerhard Hoehme, Hermann Glöckner oder Ernst Wilhelm Nay.
Anhand ausgewählter Werke haben wir damit begonnen, Verbindungslinien und Kontinuitäten in der modernen Kunstentwicklung herauszuarbeiten. In Kombination mit vergleichbar datierten Bildgeweben aus dem Gebiet des mittleren Ostens sind weitere zeichenhafte Motivquellen zu entdecken. In absehbarer Zeit wird dieser Überblick, in den wir fortlaufend zeitgenössische Werke auf Papier integrieren, im Berliner Hegenbarth-Haus dauerhaft zu besichtigen sein.
Digitale Vorschau
Inzwischen ist Herr Hegenbarth auch digital interaktiv: zunächst via Telefon bei der Live-Performance POP UP // Inklusive Pause. Diese Veranstaltung, initiiert von Oliver Hartmann (Goethe Institut Shanghai) und auf deutscher Seite ausgeführt von Stella Geppert, Nicole Wendel und Saskia Wendland, hat online und zeitgleich zwei Performance-Gruppen in Shanghai und Berlin miteinander verbunden. In kurzen, intensiven Sequenzen sind mit vorgegebenen Materialien eine Vielzahl spontaner Bildeinfälle realisiert worden. Die Abbildungen am Ende der Depesche sowie die Webseiten des Goethe Instituts vermitteln einen Eindruck davon.
Ab Januar bringen wir unsere Bilder digital zu Ihnen nach Hause: Mit Herr Hegenbarth zoomt nehmen wir ausgewählte Kunstwerke unserer Sammlung ein wenig genauer unter die Lupe. Schreiben Sie uns eine Mail an kunstvermittlung@herr-hegenbarth-berlin.de, für welche Arbeit Sie sich besonders interessieren. Diese für Sie erstellten Nahaufnahmen finden Sie dann auf unserer Website unter Aktuell zu sehen.
Im Hinblick auf die anhaltende Schließung von Kulturorten fragen wir uns und Sie, wie das Museum angesichts pandemischer Krisen weitermachen soll? Dazu planen wir im Frühjahr 2021 eine digitale Diskussionsrunde. Sie sind herzlich eingeladen, sich mit uns über das krisensichere Museum der Zukunft auszutauschen.
Virtuelle Begegnungen
Für den Jahresanfang empfehlen wir Ihnen zwei virtuelle Ausstellungsbesuche: Im KunstMuseum Ahlen wartet die Ausstellung Christian Rohlfs. Augenmensch!, wohin wir unser Bild Wiese mit Weiden (1900) entliehen haben; Hegenbarth und den deutlich älteren Rohlfs verbinden ihre anfänglich impressionistischen Studien sowie ihre daraus entwickelte expressiv-kalligrafische Handschrift, die insbesondere bei den späten Papierarbeiten ins Auge fällt.
In der verdienstvollen Ausstellung Dekadenz und dunkle Träume ist in der Alten Nationalgalerie unter vielen typischen Gemälden eine große Anzahl außergewöhnlicher Arbeiten auf Papier ausgestellt. Die magischen Hell-Dunkel-Modulationen und ein gesteigertes zeichnerisches Erzählungsvermögen, worin auch fotografisch generierte Wahrnehmungen einbezogen sind, zeigen ein bildschöpferisches Umfeld auf, das die dominanten Rezeptionsachsen der frühen Moderne bereichernd ergänzt. Die symbolistischen Anfänge Hegenbarths, die gerade in seinen grotesken Illustrationen immer wieder aufscheinen, erschließen sich nicht zuletzt durch die Betrachtung der selten schönen Bilder von James Ensor in dieser Ausstellung.
Zu beiden Ausstellungen sind virtuelle Begegnungsmöglichkeiten im Internet zu finden:
Kunstmuseum Ahlen Home - Ausstellung, Veranstaltung, Kunstvermittlung (kunstmuseum-ahlen.de)
Dekadenz und dunkle Träume | Alte Nationalgalerie - YouTube
Mit diesen Rück- und Ausblicken wünschen wir Ihnen ein gesundes, neues Jahr!
Auf ein baldiges Wiedersehen freuen sich
Jutta & Christopher Breu
& Katja Schöppe-Carstensen
weitere Informationen:
www.herr-hegenbarth-berlin.de
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POP UP // Inklusive Pause, Berlin—Shanghai, 8. November 2020, Dokumentation der Performance, © Fotos: Birgit Kaulfuß, 2019